D. Sauerländer: Die Reformation in den Freien Ämtern

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Titel
Die Reformation in den Freien Ämtern. Beispiel einer gescheiterten Landreformation


Autor(en)
Sauerländer, Dominik
Reihe
Murensia
Erschienen
Zürich 2021: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
64 S.
von
Georg Modestin, Fachschaft Geschichte, Kantonsschule Freudenberg (Zürich)

Allzu oft wird die Geschichte der Reformation aus städtischer Perspektive betrachtet. Um ein Gesamtbild zu erhalten, ist ein Blick in den ländlichen Raum von Nöten, in dem – zumindest im Fall der Stadtorte – die Landschaften in einem Untertanenverhältnis zu den urbanen Zentren standen. Eine spezifische (wenn auch nicht ausschliesslich) schweizerische Eigenheit waren die sogenannten Gemeinen Herrschaften oder Kondominien, d. h. Untertanengebiete, die von zweien oder mehreren Herrschaftsträgern abhängig waren und in denen die Frage der Einführung bzw. Nichteinführung der Reformation vom Verhältnis der betroffenen Herrschaftsträger untereinander abhing. Gut sichtbar wird dies am Beispiel der Freien Ämter, jene fünfundvierzig Gemeinden vor allem im Reuss- und Bünztal, die nach der eidgenössischen Besetzung des habsburgischen Aargaus im Jahr 1415 als Gemeine Herrschaft an die sechs Orte Zürich, Luzern, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus fielen (Bern hatte sich den Westen des Aargaus allein gesichert, während Uri nicht an der Besetzung jener Gebiete beteiligt war, da sich die Urner nach Süden orientierten).
In seiner Studie zur Reformation in den Freien Ämtern beschreibt Dominik Sauerländer zuerst die lokalen Herrschaftsverhältnisse, die im fraglichen Zeitraum von einer als «rudimentär» (S. 9) charakterisierten eidgenössischen Herrschaftsorganisation geprägt waren. In der Tat weilten die von der Tagsatzung gewählten eidgenössischen Vögte, die im Zweijahresturnus von den regierenden Orten gestellt wurden, nur sporadisch vor Ort und wurden von lokalen, der bäuerlichen Oberschicht entstammenden Amtsuntervögten vertreten, die einem der insgesamt dreizehn Ämtern vorstanden. Weitere Ausführungen betreffen die Grundherrschaft, wobei die Benediktinerabtei Muri der «mit Abstand wichtigste Grundbesitzer in der Landvogtei [war], gefolgt von den Klöstern Hermetschwil und Hitzkirch» (S. 14), und die an Bedeutung gewinnenden Bauerngemeinden. Die Grund-, Kollatur- und Landesherren waren zum einen «seit Mitte des 15. Jahrhundert mit selbstbewussten ländlichen Dorf- und Amtsgemeinden» (S. 18) konfrontiert, zum anderen mit Kirchgemeinden, die sich in verschiedenen Bereichen, so der Stiftung von Kaplaneien, der Erneuerung von Kirchenbauten oder der Stiftung neuer Kapellen, engagierten, was den Verfasser von einer «fortschreitende[n] Kommunalisierung der Kirchen» (S. 26) sprechen lässt.
Die Reformationsdynamik nahm in den Freien Ämtern – wie auch anderswo – ihren Anfang mit der Kritik am Ablasswesen und weitete sich auf Zehntverweigerungen aus. Die sich aus Letzteren ergebenden wirtschaftlichen Folgen trugen dazu bei, so die Annahme des Verfassers, dass beispielsweise Laurenz von Heidegg († 1549), der Abt von Muri, trotz seiner humanistischen Sympathien «zum entschiedenen Gegner der Reformation» wurde (S. 30). Als führender Vertreter der neuen Konfession in der Region ist Heinrich Bullinger (der spätere Nachfolger Zwinglis am Zürcher Grossmünster) zu nennen, der durchaus freundschaftlich mit Laurenz von Heidegg verkehrte, ihn aber nicht für die reformierte Sache zu gewinnen vermochte. Die örtlichen Geistlichen kamen während ihrer Studien mit reformatorischen Ideen in Berührung, daneben auch über einschlägiges Schrifttum, wobei in diesem Zusammenhang der Name Zwingli fallen muss. Überhaupt war die Zürcher Reformation insofern ein Motor für die neue Konfession in den Freien Ämtern, als Zürich als ein mächtiges reformiertes Hinterland diente. Freilich provozierten reformatorische Bestrebungen den Widerstand der katholischen Mitherren der Gemeinen Herrschaft. Nebst konfessionellen hatte dieser Widerstand auch politische Gründe, so die Rivalität zwischen Zürich und den Waldstätten, die im Alten Zürichkrieg tiefe Wunden gerissen hatte, und nicht zuletzt die Furcht vor dem Übergreifen reformatorischer Ideen auf das eigene Territorium. Unter dem Druck Zürichs und Berns, die Ende Juni 1528 erklärt hatten, die übertrittswilligen Gemeinden in den Freien Ämtern unterstützen zu wollen, griff die Reformation um sich, so dass nur noch die Ämter Meienberg und Bettwil vorwiegend katholisch blieben. Und in Muri gab es beispielsweise eine starke reformierte Minderheit. Zum finalen Umschwung zugunsten des alten Glaubens, der den Verfasser von einer «gescheiterten Landreformation» sprechen lässt, führten letztlich politische Ereignisse: Im ersten Kappeler Landfrieden vom Juni 1529 wurde in den Gemeinen Herrschaften das Gemeindeprinzip eingeführt, d.h. jede Gemeinde entschied sich für eine Konfession. Für die reformierte Seite war diese Regelung strategisch insofern von Vorteil, als «nun über das reformierte Niederamt [der nördliche Teil der Freien Ämter] eine sichere Verbindung zwischen Zürich und Bern [bestand]» (S. 51). Die Abmachungen vermochten die Situation aber nicht zu befrieden. Der konfessionelle Konflikt schwelte weiter, wobei Zürich Letzteren eher noch befeuerte. Die beiden Zürcher Niederlagen gegen die Innerschweizer am 11. Oktober 1531 bei Kappel und am 24. Oktober am Gubel beendeten den Zweiten Kappelerkrieg, zumal die Zürcher (und auch Berner) Landgemeinden zunehmend kriegsmüde waren. In dieser Position der Schwäche wurden die Reformierten in den Freien Ämtern aufgegeben, was die Innerschweizer Seite zu einer energischen Rekatholisierung nutzte, gegen die kein Widerstand überliefert ist.
Der Verfasser nimmt an, dass «die Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung durch Zürich und Bern» auf Seiten der Reformierten zu einer «pragmatischen Haltung beigetragen haben [dürfte]» (S. 60). Zudem ging der bereits erwähnte Laurenz von Heidegg als Abt von Muri, das «der wichtigste Patronatsherr in den Freien Ämtern war», bei der Rekatholisierung offenbar «geschickt und mit Augenmass» vor (S. 61). Am Schluss hatte sich die – militärisch – stärkere Seite durchgesetzt, wobei die Schwäche der Reformierten auch damit zu tun gehabt haben wird, dass sich Bern eher nach Westen als nach Osten ausrichtete. In den Gemeinen Herrschaften mit Freiburg zeigten sich die Berner viel engagierter und setzten die Reformation gegen den freiburgischen Widerstand (fast) überall durch, wie Rita BinzWohlhauser in ihrer 2017 erschienenen Monographie Katholisch bleiben? Freiburg im Üchtland während der Reformation (1520–1550) (Zürich) zeigen konnte. Was die Freien Ämter betrifft, so ist Dominik Sauer-länders handliche Überblicksdarstellung informativ und leistet insbesondere als Einführung in die Thematik gute Dienste.

Zitierweise:
Modestin, Georg Wilma: Rezension zu: Sauerländer, Dominik: Die Reformation in den Freien Ämtern. Beispiel einer gescheiterten Landreformation (Murensia, Bd. 9), Zürich 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 463-465. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127

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